Das CDU-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025 aus aristotelisch-thomistischer Sicht
Die CDU hat zur Bundestagswahl ein rechtsliberales Wahlprogramm vorgelegt, das nur wenige – aber wesentliche – Schnittmengen mit der aristotelischen Perspektive enthält.

Im Folgenden soll eine Bewertung des Wahlprogrammes der CDU zur Bundestagswahl 2025 aus aristotelisch-thomistischer Perspektive erfolgen oder doch ehrlicherweise zumindest ein skizzenhafter Versuch.
Zu Beginn seiner „Politik“ erklärt Aristoteles, dass der Staat um des guten Lebens willen besteht (Politik 1252b 29). Worin besteht das gute Leben in den Augen der CDU oder doch um welcher Güter willen ist der Staat in den Augen der CDU da? Eine erste, vorläufige Antwort hierauf liefert der Blick auf die Struktur des Wahlprogramms.
Die Struktur des CDU-Wahlprogramms zur Bundestagswahl 2025
Das Wahlprogramm der CDU zerfällt in drei große Blöcke. Diese sind – in dieser Reihenfolge – folgenden Themen oder Gütern gewidmet:
Wohlstand (mit 25 Seiten)
Freiheit und Sicherheit (mit 18 Seiten)
gesellschaftlicher Zusammenhalt (25 Seiten)
Als dringlichste Aufgabe erscheint somit aus Sicht der CDU sowohl hinsichtlich der Platzierung im Programm als auch hinsichtlich des Umfangs die Sicherung oder Generierung von Wohlstand.
Der Logik der Sache nach entspricht das nicht. Ohne gesellschaftlichen Zusammenhalt – oder sozialen Frieden – kann es keine Sicherheit und keine Freiheit geben und ohne deren Bestehen keinen – jedenfalls allgemeinen – Wohlstand. Der Sache nach verhält es sich also genau umgekehrt wie im Programm der CDU dargestellt.
Nun ist ein Wahlprogramm keine abstrakte philosophische Abhandlung, sondern eine politische Antwort auf eine konkrete historische Situation. In dieser erweckt die aktuelle mediale Berichterstattung tatsächlich den Eindruck, als wäre die Sicherung des Wohlstandes – neben der Migrationsfrage – gegenwärtig die größte Sorge der (zumindest relativ) meisten Bürger. Ob dies aber tatsächlich das größte gegenwärtige Problem Deutschlands ist – einem im globalen wie historischen Vergleich nach wie vor reichen Land – ist eine Frage, die sich einerseits aufdrängt, deren Beantwortung andererseits aber den hier zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen würde. Zweifel sind jedenfalls angebracht.
Dieser Zweifel wird noch verstärkt, macht man sich bewusst, dass die aristotelisch-thomistische Ethik von einem Bemühen um Maß und Mitte geprägt ist, Wohlstand also zu verstehen ist als die Mitte zwischen Armut und Überfluss. Ob Deutschland als Ganzes eher von Armut oder von Überfluss bedroht ist, wäre eine weitere kritische Frage in Richtung CDU. In letzterem Falle wäre reale Armut in Deutschland weniger eine Frage fehlenden Wohlstandes als dessen unzulänglicher, weil ungerechter Verteilung.
Hiermit ist ein Begriff gefallen, der uns eine Stufe tiefer führt: die Gerechtigkeit. Nach Aristoteles ist die Gerechtigkeit verstanden als das Gemeinwohl die Finalursache, das telos oder Ziel, des Staates (Politik 1282b 14-18). Welchen Platz und welche Bedeutung finden Gemeinwohl und Gerechtigkeit im Wahlprogramm der CDU?
Gemeinwohl und Gerechtigkeit im CDU-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025
Der Begriff Gemeinwohl fällt zweimal und dies relativ spät: einmal auf Seite 55, das zweite Mal auf Seite 57. Im ersten Fall soll die Jugend durch ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr zum Dienst am Gemeinwohl erzogen werden. So sehr dieses Anliegen dem aristotelischen Anliegen entspricht, wonach die Tugenderziehung Sache der Politik ist (Nikomachische Ethik 1179b), so sehr gilt doch, dass ein einziges Jahr am Ende der Jugend hierfür kaum genügt und die praktische Erziehung zum Gemeinwohl das gesamte Bildungs- und Erziehungswesen durchziehen muss, wo Aristoteles schon für die Erwachsenen eine kontinuierliche Tugenderziehung durch das Gesetz, ein Virtue mainstreaming, für erforderlich hält (Nikomachische Ethik 1180a). Tatsächlich blendet die CDU – aus aristotelischer Perspektive höchst ungewöhnlich – in ihren Aussagen zur Bildungspolitik die Notwendigkeit der Tugenderziehung komplett aus.
Im zweiten Fall ist von dem Beitrag die Rede, welchen die Kirche für „Bildung, Gemeinwohl und gesellschaftlichen Zusammenhalt“ leistet. Weder Bildung noch gesellschaftlicher Zusammenhalt sind demnach also Bestandteile des Gemeinwohls und es stellt sich die Frage, worin dieses denn bestehen soll, wenn schon Bildung und gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht zu ihm gehören. Es entsteht der Eindruck als wäre Gemeinwohl für die CDU ein inhaltsleeres Füllwort.
Was insgesamt auffällt: In beiden Fällen ist es nicht der Staat oder die Politik, die auf das Gemeinwohl verpflichtet sind. Im einen Fall wird die Jugend – zumindest für ein Jahr – auf das Gemeinwohl verplichtet, im zweiten Fall ist vom quasi freiwilligen Beitrag der Kirche zum Gemeinwohl die Rede. Ob die Politik – und konkret die CDU mit ihrem Wahlprogramm – dem Gemeinwohl oder doch Sonderinteressen verpflichtet ist, bleibt an dieser Stelle also gefährlich offen. Wie sieht es mit der Gerechtigkeit aus?
Der Begriff der Gerechtigkeit bzw. Wortbildungen mit -gerecht fallen insgesamt 17 Mal, am häufigsten dabei mit 4 mal die Generationen- und 3 mal die Bedarfsgerechtigkeit, die Generationengerechtigkeit bezogen auf Ressourcennutzung, Rente, Pflege und Haushaltsführung, die Bedarfsgerechtigkeit in Bezug auf ÖPNV, Pflege und Angeboten für psychisch Erkrankten.
Es fällt auf, dass Generationengerechtigkeit inhaltlich vor allem die Bedeutung von Sparsamkeit im Umgang mit natürlichen und (öffentlichen) finanziellen Ressourcen transportiert, während auch bei der Bedarfsgerechtigkeit die Bedeutung enthalten ist, Verschwendung zu vermeiden, also sparsam zu agieren. Sparsamkeit erscheint so als eine zentrale Erfordernis der Gerechtigkeit, Verschwendung demgegenüber als zu bekämpfende Ungerechtigkeit. Auch darüber hinaus zieht sich das Ansinnen, Kosten einzusparen durch das Programm – überwiegend durch technische Maßnahmen wie Effizienzsteigerung durch technische Innovation wie Digitalisierung und KI sowie durch Bürokratieabbau.
Neben der Dimension der Sparsamkeit weist die Bedarfsgerechtigkeit aber natürlich auch und vor allem auf die allgemeine Bedarfsdeckung als das eigentliche telos der Wirtschaft hin. Umso überraschender ist es, dass explizit von Bedarfsgerechtigkeit nur im Hinblick auf ÖPNV, Pflege und die Versorgung psychisch Erkrankter die Rede ist und nicht im Hinblick auf die Wirtschaft als Ganzer, die insgesamt im Wahlprogramm der CDU breiten Raum einnimmt, dies umso mehr vor dem Hintergrund eines Bekenntnis zu einem gerechten Sozialstaat. Dies hat Gründe, auf die es noch einzugehen gilt und die mit dem bisher Gesagten ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Doch verbleiben wir noch einen Moment bei den verschiedenen Weisen, in denen Gerechtigkeit im Wahlprogramm der CDU vorkommt.
Durch eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden soll eine gerechte Verteilung der finanziellen Lasten im Sinne des Steuerzahlers erreicht werden. Eigentümer sollen also in die Verantwortung für ihr Eigentum genommen werden, so dass etwaige Schäden nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Gerechtigkeit bedeutet in diesem Kontext also für die CDU, dass wer den Nutzen des Eigentums hat, auch für dessen Sicherung die Kosten zu tragen hat.
Im Zusammenhang mit der Bildungsthematik wird die Frage der Chancengerechtigkeit angesprochen und eine gerechte Finanzierung qualitativer Bildung versprochen.
Zweimal spricht die CDU das Thema Geschlechtergerechtigkeit an. Das Bekenntnis zur geschlechtergerechten Sprache ist dabei von rein deklaratorisch-rhetorischer Bedeutung, insofern mit ihm keine Handlungsabsicht verbunden ist und es lediglich den Hintergrund bildet für die Ablehnung eines „Gender-Zwang aus ideologischen Gründen“. Inhaltlich gefüllt ist dagegen das Bestreben, in medizinischer Versorgung und Forschung die besonderen Belange von Frauen stärker berücksichtigt zu sehen. Während also die Gendersprache als ideologisch abgelehnt wird, werden die Erkenntnisse der Genderforschung zur Benachteiligung von Frauen hinsichtlich der medizinischen Versorgung berücksichtigt. Was hier im Hintergrund steht ist also der spezifische, bisher nicht hinreichend gedeckte, Bedarf von Frauen. Geschlechtergerechtigkeit erweist sich im Wahlprogramm der CDU somit als eine Facette der Bedarfsgerechtigkeit.
Eine weitere Facette der Bedarfsgerechtigkeit zeigt sich im Bereich der Landwirtschaft, die „bei der artgerechten Tierhaltung für mehr Tierwohl“ unterstützt werden und eine „verlässliche Finanzierung tierwohlgerechter Ställe“ erhalten soll. Diese Formulierungen machen für das CDU-Wahlprogramm auf einzigartige Weise den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und dem Wohl – hier von Tieren – deutlich.
Nahezu wörtlich findet sich die Bedarfsgerechtigkeit im Zusammenhang mit den Streitkräften hinsichtlich deren Personalbedarfs, dem die CDU „gerecht werden“ will. Hier ist natürlich zu beachten, dass die Streitkräfte weder Personen noch zumindest Lebewesen, sondern eine Institution bzw. Institutionen und als solches Instrumente sind. Der Begriff der Gerechtigkeit kann auf sie also nur analog angewandt werden.
Die Formulierung „gerecht werden“ taucht noch in einem zweiten Zusammenhang auf , nämlich der humanitären Verantwortung. Hier wird deutlich, dass die Erfordernisse von Gerechtigkeit und Gemeinwohl nicht an den Staatsgrenzen aufhören, sondern dass der einzelne Staat auch dem globalen Gemeinwohl verpflichtet ist.
Hier ist damit nun der Punkt erreicht, um noch tiefer in die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Wahlprogramm der CDU zur Bundestagswahl 2025 einzusteigen.
Tiefenanalyse
Hinsichtlich des globalen Gemeinwohls zeigen sich nämlich ansonsten erhebliche Lücken, speziell bei den Themen Ökologie und soziale Gerechtigkeit. Das Lieferkettengesetz wird allein als Belastung der deutschen Wirtschaft gesehen (S. 14), die es auch sein mag. Wie das dahinter liegende Anliegen – dass deutscher Konsum nicht auf Kosten sozialer und ökologischer Mindeststandards in ärmeren Weltgegenden erfolgt – auf eine bessere Weise erreicht werden kann, wird nicht thematisiert. Die damit verbundene Verantwortung für das Wohl auch der Handelspartner, die sich aufgrund ihrer Armut in einer ausnutzbaren Position der Schwäche befinden, wird hier nicht gesehen.
Auch die Regulierung von nachhaltigen Investitionen (Taxonomie) und die Nachhaltigkeitsberichterstattung werden auf ihre belastende Wirkung reduziert (ebd.), die dahinter liegende Zielsetzung jedoch ausgeblendet. In dieses Bild passt die Formulierung „Eine Unterscheidung in gute und in weniger gute, in gewünschte und weniger gewünschte Wirtschaftstätigkeit deutscher Unternehmen im Ausland lehnen wir ab“ (S. 18), mit der eine ethische Bewertung und damit eine finalethische, teleologische Ausrichtung der Wirtschaftstätigkeit auf das (auch globale) Gemeinwohl ausgeschlossen und der Profit zum Selbstzweck erhoben wird. Hier zeigt sich eine Priorisierung, wie sie Egon Edgar Nawroth aus aristotelisch-thomistischer Perspektive am Neoliberalismus kritisiert hat. Diese Tendenz zieht sich, wie sich zeigen wird, durch das gesamte Wahlprogramm der CDU zur Bundestagswahl 2025.
Das pauschale Versprechen die Energiekosten zu senken (S. 19ff) steht in einem diametralen Gegensatz zur Zielsetzung Klimaschutz, insofern davon ausgegangen werden muss, dass Energieeinsparungen durch technisch bedingte Effizienzsteigerungen nicht zu einem insgesamt geringeren Energieverbrauch führt, sondern die so erfolgten Einsparungen reinvestiert werden, der Energiebrauch also gleich bleibt oder unter Umständen sogar steigt. Eine Senkung des Gesamtenergieverbrauchs kann somit nur durch steigende Kosten erreicht werden. Die genuin politische Frage wäre jene nach der sozialverträglichen Gestaltung dieses Prozesses; inwiefern der genannte Klimabonus (S. 22) hierzu tatsächlich einen Beitrag zu leisten vermag, bleibt unklar. Die CDU reduziert dagegen die Frage des Klimaschutzes tendenziell auf eine rein technische Frage für Forscher und Entwickler; als eine Frage der phronesis, der – auch politischen – Klugheit, die im Sinne der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls zu beantworten ist, taucht sie dagegen kaum auf, wenn überhaupt.
Nun kann man entgegnen, dass es beim Klimaschutz nicht um eine pauschale Senkung des Energieverbrauchs gehe, sondern lediglich um eine Senkung des C02-Ausstoßes. Doch auch hier stellt die CDU klar, dass sie die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an Verbraucher und Wirtschaft zurückgeben wolle (S. 22). Auf diese Weise wird die CO2-Bepreisung in erheblichem Umfang um ihre Wirkung gebracht, wenn sie nicht gänzlich ad absurdum geführt wird. Die Formulierung „Der Markt soll darüber entscheiden, wo und wie Emissionen vermieden werden. Das ist unser Weg: CO2 einsparen, wo es am effizientesten ist.“ (ebd.) zeigt, dass der CDU mitnichten um eine generelle, sondern lediglich um eine punktuelle Einsparung von CO2 geht, die prinzipiell auch durchaus mit einer Steigerung des Gesamtverbrauchs von CO2 kompatibel ist. Auch hier zeigt sich wieder das charakteristische neoliberale Denken, diesmal in Form eines Vertrauens in den unpersönlichen Lenkungsmechanismus des Marktes, an welchen die politische Gestaltungs- und Entscheidungsverantwortung im Sinne des Gemeinwohles abgetreten wird.
Dies passt wiederum zu der Formulierung „Wir verbinden dieses Ziel [der Klimaneutralität] unbedingt mit dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und der Notwendigkeit der sozialen Tragfähigkeit. Nur so sichern wir die Akzeptanz bei den Menschen und die Chancen auf wirtschaftliches Wachstum.“ (S. 21) Diese schließt entweder einen Zielkonflikt zwischen Wettbewerbsfähigkeit/Wirtschaftswachstum und Klimaschutz aus oder entscheidet ihn präventiv zugunsten des ersteren. Dass der Klimaschutz von Deutschland auch – wirtschaftliche – Opfer abverlangen könnte und dies im globalen Maßstab eine Frage der Gerechtigkeit sein könnte, wird nicht als Möglichkeit gesehen.
Die bereits skizzenhaft deutlich gewordene neoliberale Ausrichtung des CDU-Wahlprogramms zur Bundestagswahl 2025 hat dabei System bzw. ist prinzipieller Natur. Bereits auf Seite 11 bekennt sich die CDU zur sozialen Marktwirtschaft, wo ein aristotelisch-thomistischer Ansatz, wie Egon Edgar Nawroth gezeigt hat, eine leistungsgemeinschaftliche Ordnung verlangen würde. Dieses neoliberale Credo setzt sich fort im Bekenntnis zu Wettbewerb, Wachstum und Wohlstand.
Bereits Nawroth wies auf die zentrale, geradezu abgöttische, Bedeutung von Wettbewerb und Wachstum für die neoliberale Denkschule hin und kontrastierte diese mit einer aristotelisch-thomistischen Ausrichtung an menschlicher Ziel- und Zwecksetzung in Orientierung am Gemeinwohl. Die Konsequenzen ziehen sich durch das gesamte CDU-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025:
So fehlt im Abschnitt „Menschen miteinander verbinden“ ab Seite 54 ausgerechnet der Hinweis auf die Leistungsverbundenheit, wiewohl sonst den Fragen der Wirtschaft im Allgemeinen breiten Raum gegeben wird.
Was uns als Land verbindet wird (ebd.) auf einige Werte reduziert, die in dieser generischen Form für sämtliche modernen, westlichen Demokratien gelten werden, mit Ausnahme vielleicht des Bekenntnisses zum Existenzrecht Israels. Aus aristotelisch-thomistischer Perspektive ist es dagegen das inhaltlich durch die Politik, namentlich die Regierung, zu bestimmende Gemeinwohl, das ein Gemeinwesen verbindet und zusammenhält. Ein solches inhaltlich bestimmtes Gemeinwohl ist Neoliberalen jedoch unbekannt, für die es sich in der Summe der Verbrauchernachfrage erschöpft.
Wo die aristotelisch-thomistische Alternative Wettbewerbskontrolle und Lohnfindung bei den Leistungsgemeinschaften sieht, bekennt sich die CDU zu staatlicher Wettbewerbskontrolle (S. 17) und der Vermachtung des Arbeitsmarktes im Rahmen der sog. „Tarifpartnerschaft“ (S. 30f). Das Bekenntnis zur betrieblichen Mitbestimmung (S. 31) hebt sich hiervon positiv ab, bleibt aber auch hinter den Erfordernissen, die sich aus der Leistungsverbundenheit ergeben, zurück.
Der von Nawroth erhobene Vorwurf an den Neoliberalismus, dieser sei eine Ideologie der Besserverdienenden und Besitzenden, spiegelt sich ebenfalls auf vielfältige Weise im Wahlprogramm der CDU zur Bundestagswahl 2025 nieder:
Dies beginnt bereits bei der sog. „Agenda für die Fleißigen“ (S. 11f). Die hier versprochenen pauschalen Steuerentlastungen gehen nicht zu Gunsten derer, die fleißig sind, sondern jener, die (hohe) Einkommen erzielen. Ein hohes Einkommen kann ein Indikator für Fleiß sein, muss es aber nicht. Was ist mit jenen, die fleißig sind, ohne ein Einkommen oder ein hohes Einkommen zu erzielen – Mütter mit kleinen Kindern? Frauen, die Angehörige pflegen? Wo ist ihr Platz in dieser Agenda?
Wenn die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz nicht nur erhöht, sondern deutlich erhöht werden soll, stellt sich schon die Frage, ob dies nicht Politik zugunsten Besserverdienenden ist und wie dies finanziert werden soll. Merke: Der Grundfreibetrag wird nicht deutlich erhöht, sondern nur erhöht.
Warum Mehrarbeit steuerlich belohnt werden soll, erschließt sich nicht und ist zugleich eine Ungerechtigkeit gegenüber jenen, denen – etwa aus familiären Gründen – eine Mehrarbeit gar nicht möglich ist, die aber vielleicht aus eben diesen familiären Gründen noch dringender auf mehr Geld angewiesen wären.
Generell folgt die Steuerpolitik der CDU dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit und nicht jenem der Verteilungsgerechtigkeit; den Wirkursachen – wie also Wohlstand entsteht – wird hier der Vorrang eingeräumt gegenüber den Finalursachen – wozu Wohlstand entsteht. Eine teleologische Ausrichtung der Steuerpolitik am Gemeinwohl findet dementsprechend nicht statt.
So soll auch die Steuerbelastung der Unternehmen an der Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet werden, nicht an dem, was gerecht ist. Folgerichtig ist auch nicht von einer gerechten, sondern von einer attraktiven Unternehmensbesteuerung die Rede. Hier stellt sich auch die Frage, inwiefern es gerecht sein kann, dass Unternehmen geringer besteuert werden als Arbeitnehmer. (S. 14)
Die steuerliche Absetzbarkeit von Investitionen in Klimatechnologien und Energieeffizienz ist wiederum eine Umverteilung zugunsten jener, die sich solche Investitionen leisten können: Unternehmen und Besserverdienende. (S. 22)
Die Entlastung der Geringverdiener beschränkt sich demgegenüber auf eine Absichtserklärung ohne konkret benannte Maßnahmen mit Ausnahme der Erstellung eine jährlichen Berichts. (S. 12)
Was die Entlastung der Pendler im ländlichen Raum betrifft: de facto bedeutet dies eine PKW-Förderung, wichtiger wäre eine direkte Förderung des ländlichen Raumes zur Stärkung der hiesigen Wirtschaft, um Pendelverkehr zu minimieren statt ihn zu subventionieren. (ebd.)
Inflation belastet alle, vor allem jene mit geringen oder keinem Einkommen. Ein sozial gerechter Ansatz versucht Inflation zu verhindern, nicht ihre Auswirkungen selektiv zu begrenzen. (ebd.)
Die angekündigte Liberalisierung des Arbeitszeitgesetzes (ebd.) bedeutet eine zusätzliche Belastung für Arbeitnehmer.
Frauen in Teilzeitarbeit werden als Potential für den Arbeitsmarkt betrachtet (S. 13), nach dem Wohl der Familien und insbesondere der Kinder wird nicht gefragt.
Die Familie ist auch in weiterer Hinsicht ein blinder Fleck dieses neoliberalen Programms. Die demographischen Hintergründe des Fachkräftemangels werden angesprochen, aber nicht angegangen (S. 13), stattdessen setzt man auf Zuwanderung aus dem Ausland, dabei ausblendend, dass die Heimatländer ihre Fachkräfte unter Umständen dringender nötig haben, um ihre Armut zu überwinden.
Bei der Rente findet die demographische Krise nicht einmal mehr Erwähnung, geschweige denn die elementare Bedeutung, die zu ihrer Überwindung der Familie zukommt. (S. 32f)
Wurde die Familie früher als Keimzelle der Gesellschaft geschätzt, gelten Familien für die CDU nur noch als „echte Leistungsträger“ (S. 60), werden damit auf einer Stufe mit anderen Leistungsträgern gestellt und sind damit austauschbar geworden.
Die CDU bekennt sich zur Ehe für alle (ebd.) und damit zur staatlichen Akzeptanz und Förderung sexueller Verbindungen, die im Widerspruch zur menschlichen Natur stehen. Dementsprechend wird auch die Verbreitung desintegrierter und desintegrierender Familienformen nicht als gesellschaftliches Problem benannt, sondern diese im Gegenteil für ihren vermeintlichen Beitrag zur Gesellschaft gewürdigt (S. 60), wiewohl in anderem Zusammenhang durchaus das Kindeswohl bedacht ist. Zu erklären ist dies nur von der individualistische Anthropologie des Neoliberalismus her, in welcher Beziehungen nicht wesenhaft, sondern rein oberflächlicher Natur und auf individuelle Wahlentscheidungen zurückführbar sind.
Andererseits: In Übereinstimmung mit dem Naturrecht, das Abtreibung und Selbstmord (Edwrd Feser, The last superstition 2008, S. 132ff.) untersagt, wendet sich die CDU gegen eine weitere Liberalisierung des Abtreibungsrechtes (S. 62) und verspricht ein Suizidpräventionsgesetz sowie eine bessere Hospiz- und Palliativversorgung (S. 70); allerdings beabsichtigt sie auch keinerlei Maßnahmen zu ergreifen, um dem mit über 100.000 Fällen jährlich weit verbreiteten gesellschaftlichen Unrecht der Abtreibung entgegenzuwirken. Prostituierte sollen geschützt werden, anstatt dass dieses naturwidrige Gewerbe direkt untersagt wird. (S. 37)
Uneingeschränkt positiv zu bewerten ist die Abschaffung des einer platonisch-gnostischen Anthropologie folgenden Selbstbestimmungsgesetzes, insofern diese der aristotelisch-thomistischen Anthropologie entspricht, die von der Einheit von Leib und Seele ausgeht. Dies gilt auch für die Anerkennung der Rechte der (biologischen) Väter. (S. 62)
Nach dem bisher Gesagten überrascht es nicht weiter, dass es aber die größten Schnittpunkte zwischen dem Wahlprogramm der CDU zur Bundestagswahl 2025 und einem aristotelisch-thomistischen Programm, wie es Nawroth vorgelegt hat, an den Stellen gibt, wo sich letzteres mit dem Programm des Neoliberalismus trifft. Diese Überschneidungen betreffen:
Vermögensaufbau, gerade auch für kleinere und mittlere Einkommen (S. 31)
Ausbau der Begabtenförderung (S. 66f) und allgemein das Bemühen um Chancengerechtigkeit (S. 63)
bezahlbarer Wohnraum für alle Einkommensgruppen (S. 70f)
Im Bereich der Inneren Sicherheit legt die CDU den Fokus darauf, durch ein strengeres Strafrecht die ausgleichende bzw. vergeltende Gerechtigkeit sicherzustellen, wohlgemerkt wie gesehen mit Ausnahme des Abtreibungsrechtes. (s. 37)
Im Bereich der Migration ist das Bemühen erkennbar, Maß und Mitte zwischen einerseits der humanitärer Verantwortung und andererseits den Bedürfnissen der eigenen Bürgern (S. 40-42), zwischen der Verantwortung für Neuankömmlinge und deren aus ihrer Natur als vernunftbegabte Lebewesen erfolgenden Eigenverantwortung für eine glückliche Zukunft in unserem Gemeinwesen zu halten (S. 55).
Zum Schluss ist freilich noch anzuerkennen, dass in gewisser Weise die CDU durchaus zur Verantwortung Deutschlands gegenüber dem globalen Gemeinwohl steht, jedenfalls insofern dies von der deutschen Wirtschaft keine Opfer verlangt, sondern ihren Interessen dient. (S. 45ff) Hiervon ein Stück weit entkoppelt erscheinen jedoch die Beziehungen zu den USA, Israel sowie in Europa Frankreich und Polen (S. 46f). China und Rußland werden demgegenüber weniger als Partner denn als Konkurrenten bzw. Bedrohung gesehen.
Fazit
In Summe ergibt sich ein in weiten Strecken neoliberales und damit nicht-, ja antiaristotelisches Wahlprogramm, das in den Feldern Migration sowie innere Sicherheit auch konservativere Töne anschlägt. Es ist im Großen und Ganzen damit das Programm einer rechtsliberalen Partei.
Übereinstimmungen zwischen diesem Wahlprogramm und einer aristotelisch-thomistischen Perspektive gibt es vor allem just in den Bereichen, in denen – akzidentiell – eine Übereinstimmung zwischen Neoliberalismus und letzterer besteht sowie in den wenigen Bereichen, in denen die CDU – mutmaßlich ihrer christlichen Prägung geschuldet – sich an den Vorgaben des Naturrechts orientiert. Auch das Bemühen um Maß und Mitte in der Migrationspolitik kann anerkannt werden.
Hinsichtlich der Tugenden liegt bei der CDU ein deutlicher Fokus auf den bürgerlichen Tugenden Sparsamkeit und Fleiß, also jene Tugenden, die auf den Erwerb und Erhalt von materiellem Besitz zielen. Die intellektuellen Tugenden sowie die charakterlichen Tugenden im engeren Sinne treten dagegen nicht in Erscheinung. Die Notwendigkeit einer Tugenderziehung wird augenscheinlich nicht gesehen.
Die größte Diskrepanz gibt es jedoch in der Wirtschafts-, Steuer- und Umweltpolitik, in denen Fragen des Gemeinwohls und der Verteilungsgerechtigkeit sowie die Rechte der Leistungsgemeinschaften entweder vernachlässigt oder komplett ignoriert werden zu Gunsten eines blinden Vertrauens auf Markt und Technik sowie einer Priorisierung der Leistungsgerechtigkeit; also just in dem Bereich, auf welchen die CDU selbst ihren Schwerpunkt legt.